Vier Zeilen, drei Zeichen
Wie ein Brief eine 17 Jahre alte Liebe wieder entflammte
Sie würden den Brief gern wiederfinden, sagt Carmen, sie hat ihn weggelegt, sie wusste nicht, dass er mal so wichtig sein würde.
Beeindruckte Japaner waren neulich da, um ihn abzufilmen, aber sie findet ihn nicht mehr.
Der Brief hat nur vier Zeilen, aber das Wichtigste: drei Zeichen, xxx, und deswegen ist er berühmt geworden.
Als Mahnung, dass man manchmal einfach nur lange genug warten muss.
Als Beweis, das es die große Liebe noch gibt.
Carmen Ruiz Pérez, 43, schmal, zierlich, blond, sitzt in ihrem Haus in Paignton an der englischen Südküste.
Das Haus ost sehr groß und sehr englisch, sieben Zimmer, hellblaue Wände im Salon, Rosen im Vorgarten.
Carmen ist Spanierin und spricht Englisch mit französischem Akzent. Sie hat lange in Paris gelebt, als Sängerin, als Modeverkäuferin, sie hatte dort einen Hund, einen Chihuahua, der Romeo hieß, und immer mal wieder längere Beziehungen mit Männern.
An die große Liebe glaubte sie nicht mehr, nach der Geschichte damals mit Steve.
Drei Dinge halten Fremde normalerweise für erwähnenswert, wenn es um die Kleinstadt Paignton geht: Einen Zoo mit Krokodilen, eine 236m Pier am Meer, und eine Dampfeisenbahn. Und nun, neuerdings, auch die Geschichte von Carmen und Steve.
Das sie eine weiße Fellstola zum langen weißen Kleid bei der Hochzeit trug, dazu weiße Handschuhe mit Blütenapplikationen, ist aus dem japanischen Fernsehen bekannt.
Ein Team aus Tokio hat die Hochzeit samt Vorbereitungen gefilmt.
Neuseeländische Radiostationen haben über sie berichtet, der "Sri Lanka Cronicle", spanische Zeitungen natürlich, ihre Liebesgeschichte gehört der ganzen Welt.
Sie begann vor 17 Jahren, als Carmen zum Englisch lernen nach Paignton kam-eine hübsche Studentin, die sich in einen rothaarigen Briten verliebte, Steve Smith.
Steve war Einzelhandelskaufmann, trug einen silbernen Ring im linken Ohr und zu viel Gel im Haar. Trotzdem, es war die große Liebe, von Anfang an.
12 Monate waren sie ein Paar, dann musste Carmen nach Frankreich zurück.
Steve versprach, sie zu besuchen.
Aber er hatte kein Geld, nur Schulden, er verlor seine Wohnung, zog zurück zu den Eltern, die große Liebe wurde vertagt und wieder vertagt.
,,Ich war Mitte 20, im Kopf aber erst 16, ein echter Idiot", sagt Steve heute.
5 Jahre später, erwachsener inzwischen und immer noch verliebt, setzte sich Steve Smith, ein Einzelhandelskaufmann, kein Liebeslyriker, an seinen Tisch und schrieb:
,,Hallo Carmen, wie geht es Dir? Wo bist Du? Bist Du verheiratet, hast Du Kinder? Denkst Du noch an mich? Bitte ruf mich an, Steve".
Vier spröde Zeilen, aber gefolgt von 3 Mal x. 3 Mal Kuss.
Es war März 1998, er schickte den Brief an die einzige Adresse, die er noch von Carmen hatte, an das Haus ihrer Mutter in Granada, Spanien.
Carmens Mutter legte ihn auf den Kaminsims.
Steves Brief rutschte in die Spalte zwischen Kamin und Wand.
Dort blieb er liegen.
Steve wartete vergebens auf eine Antwort.
6 Monate später lernt er eine Frau kennen, zieht mit ihr zusammen, sie bekommen ein Kind, Sohn Toby, heute 8 Jahre alt.
Die Beziehung hält nicht. ,,No Magic", sagt Steve.
Der Zauber fehlt.
10 Jahre später erhält er einen Anruf aus Paris.
Carmens Mutter, in Spanien, hat beschlossen, ihr Haus zu renovieren. Bauarbeiter setzen dabei den Kamin um, finden Steves Brief.
Am 22. August 2008 erhält Carmen ihn in Paris.
Am 24. August ruft sie Steve in Paignton an, unter der einzigen Nummer, die sie noch hat.
Steve ist umgezogen, hat seine Telefonnummer aber behalten.
Als es klingelt, steht er schon an der Haustür, auf dem Weg in den Urlaub, nach Cornwall, geht aber zurück ins Haus.
,,Hier ist Carmen, ich habe Deinen Brief bekommen", hört er sie sagen.
Er setzt sich auf die Treppe.
2 Minuten telefoniert er mit ihr, hilflos, überfordert, so viel Schicksal, dann sagt er, ,,Ich muss jetzt in den Urlaub fahren" und legt auf.
Er setzt sich ins Auto, sieht nichts von der Landschaft, nicht von Cornwall, denkt nur an Carmen und ihr Telefongespräch.
Nach einem Tag bricht er seinen Urlaub ab, ruft sie wieder an, bucht für 340 Pfund ,,das teuerste Flugticket meines Lebens" und fliegt Stunden später nach Paris.
Am Flughafen Charles de Gaulle, Terminal 1, Ausgang 36, rennt er ihr entgegen, hebt sie hoch, sie küssen sich.
,,17 Jahre fühlten sich auf ein mal wie 17 Minuten an", sagt Steve.
Auch Steve ist jetzt 43, breitschultrig, ein wenig moppelig, die roten Haare sind grau geworden.
,,Ich finde das er besser aussieht wie früher", sagt Carmen.
Steve ist kein Mann großer Worte, das war er nie.
Er ist nicht der Typ, dem man zutraut, das sein Leben als Beweis für die Existenz der großen Liebe zitiert werden wird, aber so ist es nun.
Die Leute lieben diese Story, diese Romantik, die ohne Speed-Dating, Internet, SMS auskommt, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit.
Es ist eine Geschichte, die Carmen in schlechtes Wetter versetzt hat, sie hasst die dunklen Wolken in Paignton, den Regen, aber sie hat ja Steve.
Seit 2 Monaten sind sie verheiratet.
Sie wünschen sich Kinder.
Noch könnte es klappen, mit 43, das Schicksal hat sich gerade so viel Zeit gelassen, das diese Chance noch bleibt.
Britta Sandberg
Quelle: Der Spiegel, Ausgabe Nr. 40 / 26.9.09
Wie ein Brief eine 17 Jahre alte Liebe wieder entflammte
Sie würden den Brief gern wiederfinden, sagt Carmen, sie hat ihn weggelegt, sie wusste nicht, dass er mal so wichtig sein würde.
Beeindruckte Japaner waren neulich da, um ihn abzufilmen, aber sie findet ihn nicht mehr.
Der Brief hat nur vier Zeilen, aber das Wichtigste: drei Zeichen, xxx, und deswegen ist er berühmt geworden.
Als Mahnung, dass man manchmal einfach nur lange genug warten muss.
Als Beweis, das es die große Liebe noch gibt.
Carmen Ruiz Pérez, 43, schmal, zierlich, blond, sitzt in ihrem Haus in Paignton an der englischen Südküste.
Das Haus ost sehr groß und sehr englisch, sieben Zimmer, hellblaue Wände im Salon, Rosen im Vorgarten.
Carmen ist Spanierin und spricht Englisch mit französischem Akzent. Sie hat lange in Paris gelebt, als Sängerin, als Modeverkäuferin, sie hatte dort einen Hund, einen Chihuahua, der Romeo hieß, und immer mal wieder längere Beziehungen mit Männern.
An die große Liebe glaubte sie nicht mehr, nach der Geschichte damals mit Steve.
Drei Dinge halten Fremde normalerweise für erwähnenswert, wenn es um die Kleinstadt Paignton geht: Einen Zoo mit Krokodilen, eine 236m Pier am Meer, und eine Dampfeisenbahn. Und nun, neuerdings, auch die Geschichte von Carmen und Steve.
Das sie eine weiße Fellstola zum langen weißen Kleid bei der Hochzeit trug, dazu weiße Handschuhe mit Blütenapplikationen, ist aus dem japanischen Fernsehen bekannt.
Ein Team aus Tokio hat die Hochzeit samt Vorbereitungen gefilmt.
Neuseeländische Radiostationen haben über sie berichtet, der "Sri Lanka Cronicle", spanische Zeitungen natürlich, ihre Liebesgeschichte gehört der ganzen Welt.
Sie begann vor 17 Jahren, als Carmen zum Englisch lernen nach Paignton kam-eine hübsche Studentin, die sich in einen rothaarigen Briten verliebte, Steve Smith.
Steve war Einzelhandelskaufmann, trug einen silbernen Ring im linken Ohr und zu viel Gel im Haar. Trotzdem, es war die große Liebe, von Anfang an.
12 Monate waren sie ein Paar, dann musste Carmen nach Frankreich zurück.
Steve versprach, sie zu besuchen.
Aber er hatte kein Geld, nur Schulden, er verlor seine Wohnung, zog zurück zu den Eltern, die große Liebe wurde vertagt und wieder vertagt.
,,Ich war Mitte 20, im Kopf aber erst 16, ein echter Idiot", sagt Steve heute.
5 Jahre später, erwachsener inzwischen und immer noch verliebt, setzte sich Steve Smith, ein Einzelhandelskaufmann, kein Liebeslyriker, an seinen Tisch und schrieb:
,,Hallo Carmen, wie geht es Dir? Wo bist Du? Bist Du verheiratet, hast Du Kinder? Denkst Du noch an mich? Bitte ruf mich an, Steve".
Vier spröde Zeilen, aber gefolgt von 3 Mal x. 3 Mal Kuss.
Es war März 1998, er schickte den Brief an die einzige Adresse, die er noch von Carmen hatte, an das Haus ihrer Mutter in Granada, Spanien.
Carmens Mutter legte ihn auf den Kaminsims.
Steves Brief rutschte in die Spalte zwischen Kamin und Wand.
Dort blieb er liegen.
Steve wartete vergebens auf eine Antwort.
6 Monate später lernt er eine Frau kennen, zieht mit ihr zusammen, sie bekommen ein Kind, Sohn Toby, heute 8 Jahre alt.
Die Beziehung hält nicht. ,,No Magic", sagt Steve.
Der Zauber fehlt.
10 Jahre später erhält er einen Anruf aus Paris.
Carmens Mutter, in Spanien, hat beschlossen, ihr Haus zu renovieren. Bauarbeiter setzen dabei den Kamin um, finden Steves Brief.
Am 22. August 2008 erhält Carmen ihn in Paris.
Am 24. August ruft sie Steve in Paignton an, unter der einzigen Nummer, die sie noch hat.
Steve ist umgezogen, hat seine Telefonnummer aber behalten.
Als es klingelt, steht er schon an der Haustür, auf dem Weg in den Urlaub, nach Cornwall, geht aber zurück ins Haus.
,,Hier ist Carmen, ich habe Deinen Brief bekommen", hört er sie sagen.
Er setzt sich auf die Treppe.
2 Minuten telefoniert er mit ihr, hilflos, überfordert, so viel Schicksal, dann sagt er, ,,Ich muss jetzt in den Urlaub fahren" und legt auf.
Er setzt sich ins Auto, sieht nichts von der Landschaft, nicht von Cornwall, denkt nur an Carmen und ihr Telefongespräch.
Nach einem Tag bricht er seinen Urlaub ab, ruft sie wieder an, bucht für 340 Pfund ,,das teuerste Flugticket meines Lebens" und fliegt Stunden später nach Paris.
Am Flughafen Charles de Gaulle, Terminal 1, Ausgang 36, rennt er ihr entgegen, hebt sie hoch, sie küssen sich.
,,17 Jahre fühlten sich auf ein mal wie 17 Minuten an", sagt Steve.
Auch Steve ist jetzt 43, breitschultrig, ein wenig moppelig, die roten Haare sind grau geworden.
,,Ich finde das er besser aussieht wie früher", sagt Carmen.
Steve ist kein Mann großer Worte, das war er nie.
Er ist nicht der Typ, dem man zutraut, das sein Leben als Beweis für die Existenz der großen Liebe zitiert werden wird, aber so ist es nun.
Die Leute lieben diese Story, diese Romantik, die ohne Speed-Dating, Internet, SMS auskommt, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit.
Es ist eine Geschichte, die Carmen in schlechtes Wetter versetzt hat, sie hasst die dunklen Wolken in Paignton, den Regen, aber sie hat ja Steve.
Seit 2 Monaten sind sie verheiratet.
Sie wünschen sich Kinder.
Noch könnte es klappen, mit 43, das Schicksal hat sich gerade so viel Zeit gelassen, das diese Chance noch bleibt.
Britta Sandberg
Quelle: Der Spiegel, Ausgabe Nr. 40 / 26.9.09
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